2084 Das Ende der Welt
Boualem Sansal
In einem Sanatorium in den Bergen Abistans, am Rand der Welt, leben von der Gesellschaft ausgestoßene Tuberkulosekranke unter äußerst prekären Verhältnissen und warten auf ihr baldiges Ende, oder, in den selteneren Fällen, auf ihre Heilung und Entlassung. Ati ist einer von Ihnen und bevor er erkrankte war er ein gläubiger, oder besser, ergebener Untertan der abistanischen Theokratie. Die hoffnungslose Situation im Sanatorium, die entwürdigende Behandlung und die Abgeschiedenheit des unwirtlichen Ortes lassen Ati an den Dogmen der absolutistischen, religiös fundamentalistischen Diktatur Abistans zweifeln. Und dieser Zweifel verschwindet auch nicht nach seiner Heilung und der glücklichen Rückkehr nach Quodsabat, seiner Heimat. Obwohl als eine Art Held gefeiert, als einer der in der Fremde war, findet er nur oberflächlich zurück in seine alte Welt. Sein unreflektierter Glaube ist unwiderruflich verloren. Der Fanatiker, der er vorher war, ist tot und die finstere Begeisterung verschwunden, die ihn früher jede Art von Untat und jeden Verrat, als Werkzeug des staatlichen Unterdrückungsapparates, begehen ließ. Nun beginnt Atis Weg im Widerstreit zur Diktatur.
Erziehung zur Unterwerfung, nicht religiöser Glaube, bestimmen den Kern der abistanischen Theokratie. Der Glaube ist hier immer nur ein Vehikel der Macht, bestätigt durch die Aussage im Roman, dass Glaube Frevel sei und nur Unterordnung und Gehorsam das ist, was oft im Fundamentalismus mit Glauben verwechselt wird. Der Glaube ist in diesem Sinn der Feind und im Glauben steckt der Unglauben durch den Moment des Zweifels.
Ein Element der Bedrohlichkeit in dieser Geschichte besteht darin, dass es keinen Gegenentwurf gibt, der den Menschen den Mut zur Revolte offen hält. Noch bedrückender ist nur die Wirklichkeit, wie jene der iranischen, afghanischen, russischen, syrischen, chinesischen und vieler anderen Oppositionellen, die für Freiheit und Gleichheit und Solidarität kämpfen.
Im Verlauf der Erzählung werden zunehmend unzusammenhängend alle erdenklichen Merkmale totalitärer oder absolutistischer Herrschaftsformen zusammengetragen, deren Praktiken und Machtsysteme ausschnitthaft in die Beschreibung Abistans einbezogen und mit dem religiösen Kontext verknüpft. Quasi im Vorbeigehen, fast lapidar, beschreiben im Text willkürliche Verurteilungen und Massenhinrichtungen mit Eventcharakter die Grausamkeit der abistanischen Rechtskultur. Die politische Wirklichkeit unserer Zeit lässt die hier erzählte Geschichte hinter sich zurück. Die beschriebenen Zustände Abistans wirken so bisweilen wie ein Sammelsurium aus der Unterdrückungsgeschichte der menschlichen Gesellschaften. Der Verweis auf den Roman 1984 scheitert, da Letzterer tatsächlich eine neue Form staatlich repressiven Handelns beschreibt, unter Heranziehung der veränderten technologischen und kulturellen Voraussetzungen der Neuzeit.
Autor/in: | Boualem Sansal (*1949) |
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Genre: | Dystopie |
Verlag: | Merlin, 2015 |
Übersetzung: | Aus dem Französischen von Vincent Von Wroblewsky |
Originaltitel: | »2084 La fin du monde«, bei Éditions Gallimard, 2015 |