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Blackass

A. Igoni Barrett

Furo Wariboko ist 33 Jahre alt und lebt zusammen mit seiner kleineren Schwester und seinen Eltern in der nigerianischen Megacity Lagos. An jenem Morgen, an dem die Geschichte einsetzt, erwacht Furo in seinem Bett und bemerkt mit Entsetzen, dass er sich über Nacht verwandelt hat: seine Haut ist weiß, seine Augen grün und seine Haare rot. In völliger Panik und in der Überzeugung, dass er sich so keinesfalls seinen Eltern oder seiner Schwester zeigen kann, beschließt er heimlich die Wohnung zu verlassen. Da er am Morgen ein wichtiges Job-Interview hat, begibt er sich zu Fuß und ohne Geld direkt auf den Weg dorthin. So beginnt für Furo eine Odyssee durch Lagos und durch die Herausforderungen und Möglichkeiten, die seine Verwandlung und eine neue Identität mit sich bringen.

Die Sprache ist nüchtern und konzentriert sich auf die Beschreibung der absurden und doch so wirklichkeitsnahen Erlebnisse und Erfahrungen Furos und später auch Igonis, einer weiteren Hauptfigur, die Furo auf seinem Irrweg kennenlernt. Die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der nigerianischen Realität werden immer wieder in die Handlung eingewoben und bilden den Boden auf dem sich die Handlungen Furos erklären lassen. Vielleicht sollte es einen Namen für dieses Genre geben: absurder Realismus.
Den Kern der Geschichte bildet die Hinterfragung kultureller Identitäten. Furos Verwandlung beleuchtet dabei das Inferno der Kolonialisierung und der Bewertungen und Einordnungen in Bezug auf Schwarz- und Weiß-Sein in der nigerianischen Gesellschaft heute. Die Figur Igoni, das alter Ego des Autors selbst, erfährt im Roman ebenfalls eine Verwandlung: von einem Mann in eine Frau. Igoni verweist mit dem Hinweis auf sexuelle Identitäten und deren Bewertungen, gleichsam als Spiegelung, auf die Diktatur des Patriachats.
Furo ist plötzlich Weiß, er spricht wie ein Einheimischer, aber sein Arsch bleibt schwarz und so bleibt seine Schwarze Identität ebenso Teil seiner selbst, ebenso wie Igonis Identität, als Mann mit dem Überbleibsel seines männlichen Geschlechts, Teil seiner Person bleibt. Dabei liegt es im Blick des Betrachters was Schwarz/Weiß oder Mann/Frau ist und insbesondere welche und ob eine Bewertung davon abgeleitet wird. Im Roman wird die These in den Raum gestellt, dass es um die Unterscheidung geht, zwischen dem wer wir sind und dem wie wir gesehen werden, oder wie wir selbst uns sehen. Aber wie wir von anderen gesehen werden, wird dann selbstredend wieder Teil unseres Seins. Furo wird am Ende der Geschichte eine zweite Verwandlung erfahren haben: er wird sich seines Schwarz-Seins durch den Blick der Anderen berauben lassen und seine Handlungen werden schließlich aus der Perspektive seines Weiß-Seins begründet. Im Roman wird das Gedankenbild erwähnt, dass die Person, die wir sind, größer ist als unsere Erscheinung. Dieser Hinweis auf die vermeintliche Selbstbefreiung durch den Individualismus könnte als positives Credo des Romans gelten, hätte sie der Autor nicht in der Figur Furos verworfen, in dem er ihn am Ende über das äußerliche hinaus Weiß werden lässt.

Autor/in:A. Igoni Barrett (*1979)
Genre:Gegenwartsliteratur, Absurder Realismus
Verlag:InterKontinental, 2022
Übersetzung:Aus dem Englischen von Venice Trommer
Originaltitel:»Blackass«, bei Chatto & Windus, 2015