Chiisakobee - Die kleine Nachbarschaft
Minetaro Mochizuki
Shigeji, Jungmeister in der Zimmerei seiner Eltern, erfährt auf seiner ersten eigenen Baustelle, dass seine Eltern bei einem Großbrand in Tokyo umgekommen sind. Auch die Zimmerei selbst ist niedergebrannt und nur das Elternhaus blieb verschont. Die Niedergedrücktheit und Trauer wegen des Verlustes muß er verdrängen und seine Kraft auf den Erhalt und den Wiederaufbau der Zimmerei richten. Als er nach dem Abschluß der Arbeiten auf seiner Baustelle wieder nach Hause in das Wohnhaus seiner Eltern kommt, trifft er auf Ritsu, ein 20-jähriges Mädchen, das vorübergehend den Haushalt übernommen hat und sich um die zwei Lehrlinge kümmert, die bei den Bränden ebenfalls alles verloren haben. Und es leben mit Ritsu noch fünf Waisenkinder im Haus, die sie aufgenommen hat. Unter diesen ungewöhnlichen Umständen, beginnt sich eine Familie zu bilden, die durch den Zufall des schrecklichen Brandes enstand und aus Verantwortung und einer Art inneren Überzeugung das Richtige zu tun, füreinander da ist. Die Konflikte und Spannungen in der Gemeinschaft, Rückschläge und mutige Entscheidunngen beim Wiederaufbau der Zimmerei und ganz besonders das Verhältnis zwischen den Protagonisten Shigeji und Ritsu machen die Geschichte aus.
Shigeji, der in der Vergangenheit, noch in der Zeit vor Beginn der Erzählung, gegen die Eltern rebelliert, in die Welt hinauszieht und sich auf die Suche nach der Wahrheit begibt, erkennt, dass die Tradition und die althergebrachten Werte seine Bestimmung sind. Er bezeichnet dies mit dem Leitspruch seines Vaters, »Willenskraft und Menschlichkeit«. Allerdings wird in der Geschichte daraus das patriachale Muster des starken männlichen Willens, der das Heil für die Familie darstellt. Ritsu wird in diesem überkommenen Geschlechterbild die Sehnsucht nach Unterwerfung unter den männlichen Willen eingeschrieben. Unterstrichen wird dies durch das Moment der körperlichen Züchtigung, in dem Shigeji Ritsu schlägt und als Bestrafung für einen Diebstahl auch ein Kind. Insbesondere bei der Prügelstrafe für das Kind wird klargestellt, dass dies keine kulturell anerkannte Handlung darstellt, da die anderen Kinder darauf verweisen, dass dies verboten sei. Ein weiteres Moment der Geschichte ist der Verweis auf den Wert der lokalen Handwerksbetriebe, die im Zusammenspiel mit dem Auftreten Shigejis in der Familie das Gesamtbild eines patriarchal traditionalistischen Weltbilds innerhalb der Erzählung verdeutlichen. Die Geschichte ist aus einem Roman von Shugoro Yamamoto aus dem Jahr 1957 übernommen. Diese spielt allerdings im Mittelalter und wird in der vorliegenden Adaption in die Jetztzeit transportiert, mit einer Betonung moderner cooler Attribute wie dem Hipsteroutfit Shigejis, ohne jedoch einen Wertewandel zu vollziehen.
Die Figuren und Interieurs sind zeichnerisch mit großer Klarheit, Einfachheit und wenigen, konzentrierten Strichen umgesetzt. Flächige Raster-Schattierungen in meist hellen Tönen erzeugen eine etwas künstlich wirkende Stimmung. Dies wird noch gesteigert durch die manchmal fast karikierende Reduktion der Figuren auf einen stereotypen Wesenszug. Dadurch wirken die Personen teilweise etwas steril. Verschiedene Posen, Mimiken und Körperdetails werden in Ausschnitten vergrößert und wiederholt herausgestellt. Immer wieder werden so Pausen erzeugt, die den Betrachter innehalten lassen und insbesondere auf die innere Haltung der Personen verweisen. In der filmischen Sprache würde man übersetzt vielleicht von einer Zeitlupe sprechen, die dem Leser die Ruhe schenkt, genau hinzusehen und die zwischen den Bildern Platz lässt für die Interpretationen und Wertungen des Betrachters.
[Manga-Serie Band 1-4, nach dem Roman »Chiisakobee« von Sugoro Yamamoto, 1957]
Autor/in: | Minetaro Mochizuki (*1964) |
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Genre: | Manga, Gegenwartsliteratur |
Verlag: | Carlsen, 2018 |
Übersetzung: | Aus dem Japanischen von Cordelia Suzuki |
Originaltitel: | »Chiisakobee (ちいさこべえ)«, bei SHOGAKUKAN, 2013 |