Das Mädchen mit der Nummer 67203
Liria Xhunga
In der Reihe ÜberLebenszeugnisse stellt der Metropolverlag biographische Selbstzeugnisse Überlebender der nationalsozialistischen Konzentrationslager vor. Im vorliegenden Band legt Liria Xhunga, eine albanische Partisanin im Widerstand gegen die faschistischen Besatzer, ihre Erinnerungen nieder. Der Text enstand in den siebziger Jahren im kommunistisch geprägten Albanien während der Diktatur Enver Hoxhas. Bei der Niederschrift wird die bereits durch Multible Sklerose Gelähmte durch ihren Mann Miro Xhunga unterstützt. Im Vorwort gibt der Historiker und Übersetzer Cord Pagenstecher einen kurzen Überblick über die historischen Fakten, der in der vorliegenden Biographie angesprochenen Zeiträume und Orte und versucht eine Einordnung des Textes aus der Perspektive des Historikers.
In einer kurzen Einleitung schreibt Liria Xhunga über die politischen Voraussetzungen im Vorkriegsalbanien, ihre Familie und Herkunft. Sie hat sieben Geschwister und wächst in dörflichen Verhältnissen, in einem eigenen Haus aber von Armut geprägt, in einer antimonarchistisch, demokratisch, später kommunistisch orientierten Familie auf. Die Schilderung ihrer eigenen Erinnerungen beginnen ab etwa ihrem zwölften Lebensjahr mit der Besetzung Albaniens im April 1939 durch die italienischen Faschisten. Sie erfährt in dieser Zeit wie die sozialistischen Ideen nach der Gründung der kommunistischen Partei Albaniens 1941 in ihrem Dorf Fuß fassen. So wird der Dorfvorsteher entlassen und ein nationaler Befreiungsrat gewählt. Liria wird 1943 Vorsitzende der antifaschistischen Jugendorganisation BRASH und im Februar 1944 Mitglied der kommunistischen Jugendorganisation. Mit sechzehn Jahren, im Mai 1944, schließt sie sich dem albanischen Widerstand an und ist an den Kämpfen gegen die deutsche Wehrmacht beteiligt. Nicht lange und sie wird von den Deutschen gefangen genommen. Zusammen mit anderen albanischen und griechischen Widerstandskämpferinnen wird sie nach Griechenland verschleppt und im deutschen Gefängnis Pavlas Melas in Thessaloniki interniert. Dort lebt sie unter ständiger Todesangst. Immer wieder werden zum Teil noch minderjährige Mitgefangene von den Deutschen hingerichtet, darunter auch zwei der engsten Freundinnen Lirias aus ihrer Heimat. Nach einigen Wochen wird sie mit einem Transport anderer ausländischer Mitgefangener in das Konzentrationslager Ravensbrück nach Deutschland deportiert. Ab diesem Zeitpunkt wird sie zu einer Nummer degradiert und nur noch mit 67203 gerufen. Bei unmenschlicher Behandlung durch die deutschen Aufseherinnen, Hunger und unter ständiger Bedrohung mit dem Tod müssen sie und ihre Mitgefangenen im Aussenlager Köpenick Zwangsarbeit für AEG leisten. Sie überlebt Lagerhaft, Zwangsarbeit und den Todesmarsch, bei dem kurz vor der Ankunft der russischen Befreier noch viele getötet werden und wird Anfang Mai 1945 von russischen Truppen befreit. Nach langer, bedrückender Wartezeit in einem russischen Repatriierungslager kehrt sie im Herbst 1945 in ihre Heimat zurück.
Einem gewichtigen Anteil an der Bewertung und am Tonfall der Beschreibung der Ereignisse, kommen Liria Xhungas zutiefst patriotischen Haltung und ihrer kommunistischen Orientierung zu. Dies wird ihr in ihrer Familie durch den Vater, den sie als »nicht fanatisch, im engeren Sinne des Wortes« beschreibt, nahegebracht. Dies kann keinesfalls den hohen Wert schmälern, den Ihre detaillierten und in vielen Teilen auf klar und unvoreingenommen vorgebrachten Erlebnissen, Beobachtungen und persönlichen Gefühlen gestützten Beschreibungen darstellen. Hier ein kurzer Auszug der Bewertung Cord Pagenstechers aus dem Vorwort, in dem er dies unterstreicht: »… Umso bemerkenswerter sind angesichts der starken Stereotype dann aber die abweichenden Momente, die individuellen Perspektiven, die kritischen Bemerkungen, die immer wieder die floskelhafte Geschichtserzählung durchbrechen. Unverstellt beschrieben werden auch emotionale Momente des Schreckens, der Freude, der Trauer, der Wut, die die gerade 17-jährige während ihrer Deportation, Haft und Rückkehr durchmachte …«.
Am Ende des Buches sind vier kurze Erinnerungen von Mithäftlingen angefügt: Ein Brief Lirias griechischer Freundin Tasoula Mazarakis aus dem Jahr 1987, ein Interview mit der 85-jährigen Fatmira Sala aus dem Jahr 2014 und zwei Erinnerungsberichte Katerina Andonis.
Autor/in: | Liria Xhunga (1927–1994) |
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Genre: | Autobiographie, Historiographische Literatur |
Verlag: | Metropol, 2021 |
Übersetzung: | Aus dem Albanischen von Cord Pagenstecher |
Originaltitel: | »Vajza me numër 67203«, bei Neraida, Tirana, 1999 |