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Die Ordnung Der Welt

Ulrich Menzel

Hegemonie oder Imperium: Was ist unter einer »Ordnung der Welt« zu verstehen und welche Bedingungen beeinflussen die Gestaltung einer zwischenstaatlichen Ordnung, die einer Anarchie der Staaten gegenübersteht? In der vorliegenden Monographie geht Menzel diesen Fragen auf den Grund. Das Material seiner Untersuchung bilden die historischen Weltmächte, beginnend mit der Song-Dynastie in China, ab ca. 960 n. Chr., und endend bei den USA heute. Mit diesem Querschnitt von mehr als tausend Jahre imperialer bzw. hegemonialer Politik erhält man einen tiefgehenden Einblick in die machtpolitischen Faktoren, die dafür entscheidend sein können, hierarchische Ordnungsprinzipien auf zwischenstaatlicher Ebene durchzusetzen oder zu erodieren.

Verschiedene Bedingungen gilt es nach Menzel bei der Unterscheidung zwischen den untersuchten Weltmächten zu berücksichtigen. So werden im Besonderen die militärische, technische und wirtschaftliche Entwicklung eines Staates betrachtet. Wissenschaftliche Erkenntnisse, Erfindungen und kulturelle Faktoren werden ebenso beleuchtet wie Zielstellungen von staatlichem Handeln, wie Plünderung, Ausbeutung, Tributpflicht und Handelserfolg, aber auch Freeridertum, im Sinne einer friedlichen Nutzung vorhandener Ordnungssysteme, ohne selbst etwas beizusteuern.
Zur Erlangung und Behauptung einer imperialen oder hegemonialen Machtstellung wird die Besetzung von Schlüsselfaktoren angenommen, wie die Vormachtstellung zur See, auf dem Land oder heutzutage im Bereich der Informationstechnik. Überdies werden grundlegende wirtschaftspolitische Mechaniken, wie die Bereitstellung öffentlicher bzw. privater Güter und das Vorhandensein knapper bzw. umfänglich vorhandener Ressourcen, in Betracht gezogen. Dabei wird klar, dass für einen dauerhaften Machterhalt auch ein gewisser Nutzen für die unterlegenen Staaten verfügbar sein muss. Aus Menzels Sicht würde eine auf bloßer Eroberung ausgehende Macht die Bedingung einer Weltmacht nicht oder zumindest nicht lange erfüllen, da sie sich in permanentem Abwehrkampf befände und die militärischen Kosten gegen die Einnahmenseite gerechnet zu einer baldigen Schwächung führten. Menzel weist überdies auf Einflüsse durch kulturelle, religiöse und philosophische Traditionen hin, wie jene, die zur isolationistischen Politik der späteren Ming in China führten, oder er bezieht exogene Faktoren ein, wie den Pestausbruch Mitte des 14. Jahrhunderts, der den Niedergang Genuas mit befördert hat.

In diesem Buch geht es um eine »Ordnung der Welt« aus Sicht der Herrschenden, die sich auf ein Denken beruft, in dem Ordnung durch Stärke herzustellen ist, sei es militärisch oder wirtschaftlich. Der Multilateralismus insbesondere am Ende des letzten Jahrhunderts, der sich auf internationale Institutionen und Verträge stützt, wirkt wie eine naive Illusion, in deren Hintergrund die USA als Schutzmacht oder besser Hegemon wirkte. Die Analyse von Beispielen vergangener Machtentfaltung und vielleicht sogar noch um einiges mehr deren Niedergang ist ein sicher lehrreiches Material zur Prüfung der politischen Entwicklung in unserer Gegenwart. Menzels Deutung weist dabei auf ein chinesisches Jahrhundert hin. Blickt man auf die komplizierten weltpolitischen Verhältnisse der Gegenwart, lassen sich allerdings so klare zeitliche und geopolitische Abgrenzungen zwischen den vorherrschenden Mächten, wie sie Menzel bei den Song, den Mongolen, Genua, Venedig, Spanien, Portugal, den Niederlanden, Großbritannien oder den USA des 20. Jahrhunderts vornehmen konnte, kaum auf China übertragen. Auch wenn China das Potenzial für eine Weltmacht besitzt, sitzen sowohl wirtschaftlich als auch technologisch zu viele Teilnehmer am Tisch. Russland, Indien, die EU und schließlich die USA lassen es schwer erscheinen, dass eine unilaterale Macht wie China in der Lage sein könnte, alle anderen einzuhegen.
Kulturelle und soziale Errungenschaften, die universellen Menschenrechte oder internationale Institutionen wie die UNO oder selbst supranationale Organisationen wie die NATO, so zweifelhaft sie bisweilen agiert haben mögen, besitzen in der aktuellen politischen Diskussion eine immer geringere Bedeutung für eine weltpolitische Ordnung oder gar Vision. So scheint mir die Sorge berechtigt, dass wir auf ein Jahrhundert der Anarchie zwischen den Großmächten zusteuern, mit all dem zerstörerischen Potenzial für weitere Stellvertreterkriege und einer andauernden Bedrohung eines Weltkrieges mit kaum vorstellbarer Zerstörung.

Herausgeber/in:Ulrich Menzel (*1947)
Genre:Historiographische Literatur
Verlag:Suhrkamp, 2024