Freiwillig nach Auschwitz
Witold Pilecki
Der vorliegende Bericht des polnischen Offiziers Witold Pilecki beschreibt seine fast dreijährige Haft im Konzentrationslager Auschwitz. Er schreibt ihn im Sommer 1945 in Italien als einen militärischen Bericht über die Bedingungen und seine Erlebnisse im Lager sowie seine Arbeit als Widerstandskämpfer beim Aufbau einer Untergrundorganisation. Der Text stellt dabei eine Überarbeitung der ersten beiden Fassungen von 1943 dar, die er im Untergrund kurz nach seiner Flucht verfasst hat.
Dem Bericht vorangestellt sind eine kurze replikhafte Einleitung des Historikers Norman Davies zur geschichtlichen Einordnung, sowie eine Darstellung des historischen Hintergrunds und der Person Witold Pileckis durch den Übersetzer des polnischen Originals ins Englische, Jarek Garliński.
Pilecki hatte sich während einer deutschen Straßenrazzia im besetzten Warschau im September 1940 festnehmen lassen, mit der Absicht, im Konzentrationslager Auschwitz interniert zu werden. Er handelte dabei im Auftrag, der von ihm zuvor mitgegründeten Tajna Armia Polska, der geheimen polnischen Armee, die im Untergrund gegen die Deutschen kämpfte. Das Ziel war es, eine Untergrundbewegung im Lager zu errichten, die Nachrichten ins Lager und aus dem Lager herausbringen und die Bedingungen der Insassen verbessern konnte. Vor allem aber ging es Pilecki darum, das Lager zu einem geeigneten Zeitpunkt zu befreien. Einen wichtigen Grund für seine spätere Flucht benennt er folgerichtig in der Aussichtslosigkeit, sein Hauptziel zu erreichen, die Übernahme des Lagers durch seine mittlerweile ausgedehnte Widerstandsorganisation. Dazu fehlte zum einen der Befehl zum Losschlagen durch die Befehlsebene des Widerstands außerhalb des Lagers, aber vor allem erhielt er keine militärische Unterstützung von außen.
Das Lager Auschwitz wurde etwa vier Monate vor Pileckis Ankunft, Ende April 1940, von den Deutschen errichtet. Ab Juni desselben Jahres bis zum Beginn des Überfalls auf Russland diente es in der Hauptsache der Internierung, Ausbeutung und systematischen Ermordung politisch aktiver und intellektueller Polen. Die ungeheuerliche Grausamkeit und Konsequenz, mit der im ›Arbeitslager‹ Auschwitz gemordet wurde, erlaubt es bereits zu diesem frühen Zeitpunkt, den Begriff der Vernichtung als das bestimmende Ziel zu erkennen. Hier bleibt der Unterschied zum später enstandenen Lager II, Auschwitz-Birkenau, zu ergänzen, dass den alleinigen Zweck der Vernichtung verfolgte, in der Hauptsache der als Juden definierten europäischen Bevölkerung, ohne den Umweg über den Tod durch Arbeit.
Der Bericht Pileckis gibt einen Einblick in das System Auschwitz aus der Perspektive des polnischen Widerstands. Dabei zeigt Pilecki, in einer auf die Ereignisse bezogenen Knappheit der Beschreibung, die Mechanik des brutalen Mordapparats auf. Einen wichtigen Aspekt stellt die Darstellung des Kapo-Systems und von Organisationsprozessen im KZ dar, bei dem die Einbeziehung der Insassen in die Arbeit der Vernichtung durch die SS deutlich wird. Einen weiteren Gesichtspunkt macht er in der dynamischen Entwicklungsfähigkeit der Vernichtungsorganisation aus. So verändert sich die Tötungsmaschinerie von einer zu Beginn grausam direkten Gewalt mittels Schlägen der Kapos und der Vernichtung durch Arbeit, Hunger und Erschöpfung im Stammlager Auschwitz in ein optimiertes System der massenhaften indirekten Tötung durch Gas und technologisch optimierte Verbrennungsöfen in Auschwitz-Birkenau. Auf die Unterstützung durch die deutsche Forschung, Industrie und Bürokratie muss hier nicht tiefer eingegangen werden. Aus Pileckis Bericht lässt sich dies aber auf beklemmende Art herauslesen. So entwickelt sich das Stammlager während seines Aufenthaltes dort, neben den weiterhin begangenen Mordaktionen und Menschenversuchen, im Verhältnis zum Beginn mehr und mehr zu einer ›Werkbank‹ der SS und der Kriegswirtschaft, das sich in seiner Absicht der direkten Tötung aller Häftlinge zurückhält und beginnt, vom Vernichtungsapparat Ausswitz-Birkenau zu profitieren – Dort wurde den zur Vernichtung bestimmten Menschen alles weggenommen und Kleidung, persönliche Dinge, Wertgegenstände, Lebensmittel etc. weiterverwertet und so auch ins Stammlager gebracht, wodurch sich dort über eine Art Schwarzhandel die Versorgungslage zu verbessern begann. Die Organisatoren der Vernichtung hatten eine zweckmäßige Teilung und differenzierte Behandlung der Opfer zur Optimierung ihrer Ziele erkannt.
Ein Wort zum Titel des Buches und zur Rezeption des Textes. Das Wort ›freiwillig‹ wirkt im Zusammenhang mit Auschwitz fast irreführend plakativ, da dieser Begriff den militärischen Auftrag zu einer Widerstandsaktion unterschlägt, den Pilecki übernommen hat. Außerdem misst man dem Begriff im Nachhinein mit der Kenntnis der tatsächlichen Verhältnisse in Auschwitz ein anderes Gewicht zu, als es Pilecki im Moment seiner Entscheidung für diese Aktion empfunden haben könnte. Dies soll nur darauf hinweisen, dass es sich hier um eine nicht ungewöhnliche militärische Widerstandsaktion gehandelt hat, die aber nicht minder den außergewöhnlichen Charakter Pileckis unterstreicht, den er bereits vorher durch seine Widerstandsarbeit und auch nach seiner Flucht aus Auschwitz immer wieder bewiesen hat. Dabei ist es mir wichtig hinzuzufügen, dass uns weniger die Aura des Außerordentlichen, ja fast Übermenschlichen seines heldenhaften Handelns beschäftigen sollte – Pilecki weist am Ende zurecht darauf hin, dass er nicht zur Unterhaltung geschrieben hat –, sondern vielmehr, welche Kräfte und Einflüsse ihn die Stärke und Klarheit seiner Entschlüsse und die Widerstandskraft seines Willens haben finden lassen, so zu handeln.
Mit den Schlussworten unterstreicht er nochmal seinen klaren und unabhängigen Blick auf die politischen Verhältnisse, gerade nachdem der Naziterror überwunden war: »… Eine zerstörerische Kraft war am Werk, die die Grenze zwischen Lüge und Wahrheit aufheben wollte, und jeder konnte es sehen. …« Und im zweiten Zitat, was ihm als Mensch ein Anliegen ist: »… Denkt über euer eigenes Leben nach, schaut euch um und beginnt euren eigenen Kampf gegen die Falschheit, gegen die Lügen und die Selbstsucht, die uns so kunstvoll als nicht nur wichtig und wahr, sondern als eine große Sache vorgeführt werden.«
[Anmerkung: Der Bericht wurde von Jarek Garliński aus dem polnischen Original ins Englische übersetzt und von dieser Vorlage ins Deutsche.]
Autor/in: | Witold Pilecki (1901–1948) |
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Genre: | Historiographische Literatur, Autobiographie |
Verlag: | orell füssli Verlag, 2013 |
Übersetzung: | Aus dem Englischen von Dagmar Mallett |
Originaltitel: | »The Auschwitz Volunteer: Beyond Bravery«, bei Aquila Polonica (U.S.) Ltd., 2012 |