Verdrängt - Vertagt - Zurückgewiesen
Karl Heinz Roth, Hartmut Rübner
Die vorliegende Monographie beschäftigt sich mit der Berechnung der deutschen Schuld aus Krieg und Okkupation während der Herrschaft des Nationalsozialismus am Beispiel Polens und Griechenlands. Im Vorwort weisen die Autoren auf den Tabubruch hin, der die Beschäftigung mit der Reparationsfrage mit sich bringen würde. Dabei sei der Gegensatz zwischen der aufgeworfenen Schuld und der bisher tatsächlich erfolgten Abtragung derselben in einem derart großen Mißverhältnis, dass es nach Ansicht der Autoren notwendig sei, diese Fragestellung detailliert und ohne Vorbehalte zu erörtern.
Für dieses Vorhaben wird ein detaillierter und wissenschaftlich fundierter Blick auf die historischen Voraussetzungen geworfen. Zunächst wird der Reparationsbegriff selbst in Bezug auf das Völkerrecht einer Analyse unterzogen. Dem folgt eine kurze Betrachtung der Folgen des Versailler Vertrags und es wird der Frage nachgegangen, welche Auswirkungen die Politik der Reparationen nach dem ersten Weltkrieg hatte, als einer Art negativer Rahmensetzung und historischem Vorbild dafür, was nach dem zweiten Weltkrieg aus Sicht der Reparationsschuldner unter allen Umständen zu vermeiden war.
Ausführlich werden nun Ziele, Vorgehensweise und Folgen der Kriegs- und Okkupationspolitik in Polen und Griechenland beschrieben. Dabei werden die Auswirkungen auf verschiedene Teilbereiche wie die Bevölkerung, die Wirtschafts-, Finanz- und Infrastruktur, und die Kultur beschrieben. Hier werden unter anderem die Unterschiede in der Zielsetzung der deutschen Aggression zwischen Polen und Griechenland sichtbar. Verengen ließe sich dies für Polen auf die Begriffe Ausbeutung und Auslöschung und für Griechenland auf Ausbeutung und Unterwerfung. Im darauf folgenden Teil wird die Untersuchung dieser Unterschiede in der Okkupationspolitik auch auf die anderen von Deutschland überfallenen Länder ausgedehnt und mit der Vorgehensweise in Polen und Griechenland in einer kurzen Überblicksarbeit verglichen.
Nach diesem Teil beginnt eine Analyse der Nachkriegspolitik, insbesondere in Bezug auf die von den Alliierten gestaltete Reparationsordnung. Hier werden die Bedingungen nach Kriegsende bis zu den politischen Verhältnissen und dem Stand der Diskussion in der Gegenwart beleuchtet. Sowohl die politischen Entscheidungen der Alliierten als auch der Nachfolgestaaten des dritten Reiches werden in den Blick genommen. Dabei wird insbesondere die Entwicklung der Bundesrepublik einer genauen historischen Analyse unterzogen, von der frühen Nachkriegszeit, über die wirtschaftliche und aussenpolitische Konsolidierung in den fünfziger und sechziger Jahren, die Zeit der Ostpolitik Brandts und des zwei-plus-vier-Vertrags, bis in die aktuelle Diskussion zum Thema Reparationen und Entschädigung mit Polen und Griechenland. Ein Schlaglicht fällt hier auf das Versagen der Alliierten nach Kriegsende, ein zukunftsweisendes und gerechtes Abkommen zu entwickeln, dass nicht nur die Interessen der großen Drei, sondern auch die gleichberechtigten und besonders bedürftigen kleineren Staaten, wie Polen, Griechenland oder Serbien berücksichtigt. Demgegenüber stand aber eine antikommunistisch geprägte US-Politik unter Truman und ein stalinistich geprägter Sowjetstaat, der noch wenige Jahre zuvor mit dem Nationalsozialismus paktiert hatte. Diese Konfrontation führte schnell zum Bruch vorher getroffener Vereinbarungen und mündete in den kalten Krieg, der eine gemeinsame und abschließende Lösung durch die Allierten auf eine unbestimmte Zukunft verschob.
Die Zielsetzung dieser Arbeit liegt darin, über die genaue Beschreibung des kaum begreiflichen Umfangs organisierter und zielgerichteter Vernichtung und Ausbeutung, zu einer Übersetzung dieser Taten in bezifferbare Werte zu kommen, um eine Diskussionsgrundlage für die Frage der Reparationsschuld auf der Basis von Fakten zu schaffen. Dabei weisen die Autoren darauf hin, dass eine exakte Auswertung im Rahmen dieser Arbeit nicht zu leisten ist und es sich bei den angenommenen Werten um Näherungswerte handelt. Eine Auswertung der Quellen in den okkupierten Ländern im Abgleich mit den Daten aus der Reparations- und Friedenskonferenz in Paris, 1945/46, könnte dies aber in der Zukunft leisten. Sowohl die angenommenen Reparationssummen als auch die Berechnungsgrundlage für die bereits erbrachten Reparationen werden von den Autoren am Völkerrecht orientiert. Folgende Ergebnisse sind dabei besonders hervorstechend:
Der Gesamtschaden wird auf 7517,2 Milliarden Euro berechnet. Bisher wurden davon Reparationsleistungen von 950,872 Milliarden (12,7%) beglichen. Darin sind auch die Gebietsabtretungen an Polen, Kriegsgefangenenarbeit, Demontagen, Beuteaktionen, zivile Luftkriegsschäden etc. enthalten. Der Anteil an Entschädigungszahlungen (inkl. SBZ/DDR) beträgt ca. 117,22 Milliarden Euro (12,3% der gezahlten Summe). Dabei beträgt die Reparationsleistung an Griechenland weniger als 0,5% der zustehenden Leistung. Für Polen wurden ca. 14% der zustehenden Leistung an Reparationen bezahlt. Bemerkenswert ist hier auch das der Anteil an geleisteten Entschädingunszahlungen zu 80% an die Gruppe der aus Deutschland stammenden NS-Verfolgten ging. Im Verhältnis zu deutschstämmigen Opfern wurden an polnische oder griechische Opfer weniger als 1% der gezahlten Entschädigungen gezahlt.
Im Vergleich zu den Opfern wurden die Kohorte der Täter, etwa sechs Millionen Personen, aus Wehrmacht, Waffen-SS, NS-Funktionsträger etc. mit Versorgungsbezügen, gerechnet bis zum Jahr 2000, von 300 Milliarden versorgt, während 47,5 Millionen Opfer mit etwa einem Sechstel des Betrages versorgt wurden.
Beschämend, aber bei genauer Betrachtung nicht überraschend, ist die Erkenntnis, dass nach der Befreiung die Nazieliten der zweiten Reihe, Mitläufer, Kollaborateure und Profiteure ein bestimmendes politisches Gewicht in der Bundesrepublik Deutschland behielten und überall mitbestimmten, sei es in Justiz, Politik, Administration, Geheimdienste oder der Wirtschaft. Diese Kontinuität in der Mentalität eines gewichtigen Teils der führenden Eliten hatte auch Auswirkungen auf die Raparationsfrage und den Umgang mit Entschädigungszahlungen, wie oben bereits durch Zahlen belegt.
Den Abschluss bildet ein Plädoyer für ein Reparationsabkommen, als Ergänzung zum zwei-plus-vier-Vertrag, dass für einen Schuldenschnitt bei einem Viertel der Gesamtsumme argumentiert. So würde ein Betrag im Umfang des bereits geleisteten Betrags noch einmal fällig. Die Autoren heben hervor, dass insbesondere die Süd- und Osteuropäischen Länder davon profitieren sollten, wobei dies aber alle geschädigten Länder selbst verhandeln müssten. Würde die Zahlung auf 20 Jahre gestundet, wäre es eine tragbare und die Wirtschaft wenig belastende Summe, die in etwa dem Umfang des Aufbau Ost entspräche.
Ein wichtiger Punkt, den ich hier nicht vergessen möchte, ist der Hinweis auf die nicht tilgbare Schuld an dem unermesslichen Leid, dass hier beschrieben wurde. Es geht nicht zuletzt darum, dass im Völkerrecht festgeschriebene Rechtsbewusstsein, nicht nur der Gerechtigkeit halber, sondern als Beweis für die Gültigkeit dieses Rechts zum Schutze der Menschen aller Nationen auf transnationaler Ebene durchzusetzen.
Autor/in: | Karl Heinz Roth (*1942), Hartmut Rübner (*1960) |
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Genre: | Historiographische Literatur, Politische Literatur |
Verlag: | Metropol, 2019 |