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Zerbrochenes Glas

Alain Mabanckou

‘Zerbrochenes Glas’, Hauptfigur und Erzähler in Mabanckous gleichnamigem Roman, ist ein aus dem Dienst entlassener Lehrer und Alkoholiker. Er verkehrt als Stammgast in der Bar ‘Angeschrieben wird nicht’, in der Av. de l’Indépendance in Brazzaville, Republik Kongo. ‘Sture Schnecke’, der Besitzer des rund um die Uhr und 365 Tage geöffneten Lokals, beauftragt Zerbrochenes Glas damit, seine und die Geschichten der Kneipenbesucher aufzuschreiben. Die Geschichte der Kneipe und die Kämpfe gegen allerlei Fanatiker, Antihedonisten, Moralisten und Bekehrten steht am Beginn. Dabei haben auch der korrupte Staatspräsident und Oberbefehlshaber, sowie seine Berater und Minister ihren Auftritt. Kapitel für Kapitel erzählen daraufhin die durchweg gescheiterten Besucher der Kneipe ihre eigenen Geschichte, die zumeist von Leid, individuellen Katastrophen und bisweilen von einer phantasmagorischen Sexualisierung geprägt sind. Ebenso wie der Ich-Erzähler selbst, bekennen die Kneipenbesucher dabei im Rotweinrausch ihre Lebens(irr)wege.

Durch die Direktheit und Ungeschliffenheit in Mabanckous Sprache verstärkt er den Eindruck, sich direkt an den Leser zu wenden und diesem quasi am Tisch bei einer Flasche Rotwein zu beichten. In barocker Übermäßigkeit lässt er die Sätze in hypertrophen Litaneien von Eigenschaftsbezeichnungen und Wiederholungen, im Stil einer lyrischen Übersteigerung, in zum Teil bösartiger, androgener, roher Weise auf den Leser los. Immer wieder brechen kulturelle, literarische, sexuelle, historische und politische Anspielungen in ironisierender Weise in unsere scheinbar sittsame und geordnete Welt. Die permanente Selbstbezeichnung des kongolesischen Normalbürgers, des dunkelhäutigen Menschen, aber auch des Untertans per se als Neger ist dabei nur die plakativste Verhöhnung der kulturell historischen Selbstzufriedenheit des sich vornehm distanzierenden bürgerlichen Milieus. In der katarsischen Geste einer Beschimpfung und Huldigung, beschwört es gleichzeitig die Befreiung des Erzählerautors von hergebrachten literarischen Erwartungen. Wer liest diese Literatur? Ich hoffe viele! Das Buch ist auch ein Literaturroman mit einer Vielzahl an Zitaten und Erwähnungen von literarischen Vorbildern.

Autor/in:Alain Mabanckou (*1966)
Genre:Gegenwartsliteratur, Absurder Realismus
Verlag:Liebeskind, 2013
Übersetzung:Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller
Originaltitel:»Verre Cassé«, bei Éditions du Seuil, 2005